Matthäus Merian d.Ä. und die Bebilderung der Alchemie um 1600

Forschungs- und Studierendenprojekt 

Virtuelle Ausstellung und dynamische Wissensplattform: Matthäus Merian d.Ä. und die Bebilderung der Alchemie um 1600 (Laufzeit seit WS 2018/19)

in Kooperation mit der Universitätsbibliothek der Goethe-Universität Frankfurt

Online seit 6.Mai 2021: https://merian-alchemie.ub.uni-frankfurt.de/


In einer außergewöhnlichen Konjunkturwelle brachten Frankfurter Verlage innerhalb nur weniger Jahre – ungefähr zwischen 1600 und 1630 – eine Vielfalt illustrierter alchemistischer und alchemisch-spiritueller Druckschriften hervor. Nicht zufällig deckte sich diese Produktionsphase mit der Hochphase der Beliebtheit derartiger Literatur in Europa und der überall anzutreffenden Suche nach dem Stein der Weisen. Schon damals hoben sich die hochwertigen Alchemica illustrata aus Frankfurt von der Masse ab. Das Bild erhielt einen betonten – nicht minder umstrittenen – Sonderstatus als eigenständiges Mittel der Wissens- und Erkenntnisvermittlung. Innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitfensters wurde die Ikonographie der Alchemie in einem bis dahin ungekannten Ausmaß ausdifferenziert. Die neu kreierten Bilderzyklen und Einzelblätter bildeten aufgrund ihrer weitreichenden Rezeption am Ende der Frühen Neuzeit einen wesentlichen Teil des europäischen Bildkanons der Alchemie. Bis heute fehlen die markanten Bilderfindungen in keinem Handbuch zur Alchemie oder Naturmagie. Sie sind fester Bestandteil des kulturellen Bildgedächtnisses, das in den letzten Jahren im Zuge innovativer Forschungen zur Alchemie und Naturmagie wieder verstärkt in den Fokus der Kulturwissenschaften gerückt ist. Große Aufmerksamkeit erfährt beispielsweise die mythoalchemische Bild-Musik-Dichtung Atalanta fugiens(1617), deren englischsprachige Übersetzung und kommentierte Onlineausgabe aktuell an der Brown University realisiert werden konnte. 

Aus der Perspektive der Forschungsgeschichte rückt das Forschungs- und Studierendenprojekt die thematisch teils sehr verschiedenen Bilderfindungen, die häufig von Matthäus Merian d.Ä. (1593-1650) stammen und in künstlerischer und intellektueller Qualität neue Maßstäbe setzten, erstmals in den Mittelpunkt eines explizit kunsthistorischen Interesses. Es wird nach den spezifischen Bildstrategien für das Entwerfen der Titelkupfer und der allegorischen Bildfolgen, nach den ikonographischen Vorbildern und ebenso nach der Bedeutung des Motivtransfers zwischen Antwerpen, Straßburg, Prag und Frankfurt gefragt. Insbesondere soll die Rolle des weitgereisten Merian als intimer Kenner der alchemischen Materie im Kontext der Frankfurter Verlage Johann Theodor de Bry (dessen Verlag zeitweise teils nach Oppenheim verlegt wurde) und Lucas Jennis näher untersucht werden. Dabei gilt es, den mehr oder weniger direkten Einfluss des Kupferstechers auf die Bebilderung der Alchemie zu bestimmen. Merians schöpferische Tätigkeit wird somit eingebunden in die Untersuchung des wissensgenerierenden Zusammenspiels von Verleger, Autor und Illustrator, das auch den gegenseitigen Austausch mit Künstlerkollegen wie Balthasar Schwan oder Georg Keller berücksichtigen muss. Außerdem ist die bildnerische Innovationsleistung nicht ohne den Fundus der druckgraphischen Vorlagen in den Verlagen und in den Sammlungen der gut vernetzten Liebhaber der Alchemie zu rekonstruieren. 

Die virtuelle Ausstellung, die zugleich eine auf Langfristigkeit angelegte, dynamisch wachsende Wissensplattform für Alchemica illustrata um 1600 ist, gehört zu den Hauptzielen des seit dem Wintersemester 2018/19 laufenden Projektes, das unter der Leitung von Berit Wagner vom Kleinen Förderfonds Lehre der Goethe-Universität, von der Christa Verhein Stiftung und mit Mitteln aus dem Lehrstuhl der Städel-Kooperationsprofessur unterstützt wird.. Auf der Grundlage originaler Drucke in der Universitätsbibliothek wird der Korpus der Frankfurter Alchemieliteratur unter neuen Gesichtspunkten analysiert. In Kooperation mit der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg wird die Digitalisierung der dort vorhandenen außergewöhnlich dichten Alchemica illustrata-Bestände der früheren Senckenbergischen Bibliothek und der in der früheren Stadt- und Universitätsbibliothek verwalteten Sammlung Occulta (Signaturengruppe Occ.) realisiert und künftig nicht nur in den Digitalen Sammlungen der Universitätsbibliothek zur Verfügung gestellt, sondern auch in den DFG-Viewer der Deutschen Forschungsgemeinschaft gespeist. Damit werden die überaus reichen Bestände frühneuzeitlicher Alchemica illustrata, deren Erstbesitzer teils bis in die Merian- und Entstehungszeit zurückzuverfolgen sind, auch einer breiteren Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht. Im Rahmen studierendenzentrierter und kompetenzorientierter Lehrveranstaltungen und (bislang) eines Workshops mit geladenen Experten werden die Forschungsergebnisse zu ausgewählten Druckschriften und Radierungen diskutiert, ausgetauscht und für die virtuelle Ausstellung aufbereitet. Die geplante Website, an der sich zusätzlich internationale Gastautor:innen mit einzelnen Katalogbeiträgen beteiligen, soll der Vernetzung mit vergleichbaren Forschungsdatenbanken, öffentlich zugänglichen Archivmaterialien und Onlineplattformen und somit dem internationalen wissenschaftlichen Austausch zum Thema der Verquickung von Kunst und Alchemie dienen.

Die virtuelle Ausstellung und dynamische Wissensplattform wird bestückt aus:

-dem Bildmaterial der digitalisierten Bestände der Universitätsbibliothek der Goethe-Universität Frankfurt

-den Katalogbeiträgen der Student:innen, Absolvent:innen und verschiedenen Abschlussarbeiten (BA, MA) als Ergebnis verschiedener Lehrveranstaltungen, darunter Beiträge mithilfe des Digitalen Storytelling in der Kunstgeschichte mit IIIF

- interdisziplinären Gastbeiträgen von Spezialist:innen aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Russland, Schweden und der Schweiz; weitere geeignete Fachbeiträge sind willkommen!

-der benutzerfreundlichen Vernetzung/Verlinkung mit verwandten Projekten und Forschungsdatenbanken

-den publizierten Ergebnissen des Workshops Weltlandschaften, Magier und der Stein der Weisen – Die Bilderfindungen des Kupferstechers Matthäus Merian d.Ä. für Alchemica illustrata vom Februar 2020 mit Beiträgen von Stephan Laube; Sergei Zotov; Corinna Gannon; Katja Lehnert; Laura Etz; Berit Wagner u.a.

Projektverantwortung:
Dr. Berit Wagner

Projektmitarbeiter:
-Auftakt Lehrveranstaltung WS 2018/19 gemeinsam mit Corinna Gannon M.A., Sonja Gehrisch M.A. in Kooperation mit der Sammlung Frankfurt und Seltene Drucke der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (Dr. Mathias Jehn; Bärbel Wagner)

-Wissenschaftliche Mitarbeit und wissenschaftliche Redaktion: Katja Lehnert M.A.; Studentische Projektmitarbeiter:Wissenschaftliche Mitarbeit, Bild- und Internetredaktion & Öffentlichkeitsarbeit: Laura Etz; Konzeption des Internetauftritts & Leitung Internetredaktion: Leslie Zimmermann M.A.

Kooperationspartner:
Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg der Goethe-Universität Frankfurt, Referat Digitalisierung der Abteilung Bestandserhaltung und Digitalisierung sowie Sammlung Frankfurt und Seltene Drucke

Förderer: 
Kleiner Förderfonds Lehre der Goethe-Universität Frankfurt
Christa Verhein Stiftung

Matthäus Merian d.J., Matthævs Merian d.Ä., um 1650, Universitätsbibliothek Frankfurt, Porträtsammlung Holzhausen 661a
Aufgeschlagen - Johann Daniel Mylius, Opus medico-chymicum, Frankfurt: Lucas Jennis 1618, Universitätsbibliothek Frankfurt, Sign. Occ. 1150
Matthäus Merian d. Ä., Alchemische Weltlandschaft, in: Johann Daniel Mylius, Opus medico-chymicum, Frankfurt: Lucas Jennis 1618, Universitätsbibliothek Frankfurt, Sign. Occ. 1150 Bd. 3