Sammeln in der Stadt um 1600. Die Kunst- und Wunderkammer des Medicus Laurentius Hoffmann im Kontext der europäischen Sammlungs- und Wissenskulturen

Projektleitung und Bearbeitung Dr. Berit Wagner gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung (2022-2025)

Das Projekt erforscht die Kunst- und Wunderkammer des Hallenser Medicus Laurentius Hoffmann d.J. (1582–1630) und kontextualisiert dieselbe unter verschiedenen kunst-, kultur- und wissenschaftshistorischen Aspekten mit einer europäischen und globalen Perspektive. Mit der Erforschung der bislang nahezu unbekannten Sammlung eines stadtbürgerlich-patrizischen und zugleich höfischen Akteurs um 1600 wird die Frühphase der deutschen Sammlungsgeschichte neu gewichtet. 

Hauptquelle und Ausgangspunkt des Forschungsprojektes ist die gedruckte Veröffentlichung der Sammlung im Jahre 1625. Der gelehrte wie kunstsinnige Stadt- und Leibarzt Hoffmann publizierte damit den ersten gedruckten Katalog einer vollständig ausgebildeten Kunst- und Wunderkammer in der europäischen Geschichte. Der Titel Thaumatophylakion, sive Thesaurus Variarum Rerum Antiquarum Et Exoticarum: tam naturalium quam artificialium […] bezieht sich auf die sammlungstheoretisch relevanten Aspekte von Wunder, Schatz und Versammlung epistemischer Objekte aus den als komplementär aufgefassten Bereichen Natur und Kunst.

Sowohl mit dem Titel als auch mit dem Hinweis auf christlich-hermetische Konzepte der Frühen Neuzeit in den verrätselten Vorreden des Bandes ist der theoretische Horizont des Herausgebers angezeigt. Im Gegensatz zu den Spezialsammlungen von Gelehrten, Naturwissenschaftlern, Apothekern oder Medizinern, wie Conrad Gessner (Zürich), Ulisse Aldrovandi (Bologna) oder dem offenbar vorbildlichen Paludanus, sammelte Laurentius Hoffmann jedoch nicht nur Mineralien oder Pflanzen- und Tierpräparate aus der Region und ebenso der ganzen Welt, sondern auch Preziosen, Skulpturen, Gemälde und Druckgraphiken, weiterhin Waffen, Münzen und Scientifica in beeindruckend großer Zahl, was ihn auch zum Experten höfischer Sammlungen machte. Die Sammlung Hoffmann stellt, wie das Projekt darlegen wird, ein einzigartiges Zeugnis der Errichtung von Kunst- und Wunderkammern als Ort der Wissensgenese, Repräsentation und ebenso der Kunstliebhaberei dar und steht den gut untersuchten stadtbürgerlichen Sammlungen in Antwerpen, Augsburg, Bologna oder Basel ebenbürtig zur Seite.

Geht man bislang von einer Konzentration der frühen Sammlungen im deutschsprachigen Raum in Süddeutschland aus, eröffnet die umfangreiche Naturalien- und Kunstsammlung, nicht zuletzt auch im Vergleich zur kurfürstlichen Kunstkammer in Dresden (errichtet ab 1572), neue Perspektiven. Konnte Hoffmann womöglich aufgrund seiner Expertise als Sammler am Dresdner Hof Kariere machen? Ab 1626 gelangte der wohlhabende Apothekersohn Hoffmann in die Funktion des Leibarztes des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656), 1630 erhielt er den Titel eines Kaiserlichen Hofpfalzgrafen.

Wird der Zusammenhang von Alchemie und der protowissenschaftlichen Beobachtung des Wechselspiels von Ars und Natura in zahlreichen Publikationen thematisiert, nicht zuletzt am Beispiel der Kunstsammlung Rudolfs II. in Prag, gibt es europaweit keine Parallele zu Hoffmann, der zugleich Besitzer einer voll ausgeprägten Kunst- und Wunderkammer und wortgewandter Verfechter alchemischer Ideen war. Daraus ergeben sich neue Ansätze zu zahlreichen Aspekten der Kunst- und Wunderkammerforschung vor 1650 und gleichfalls bezüglich der Rezeption von Bildern mit christlicher Ikonographie (z.B. Christo-Alchemie).

Im Rahmen des Projektes wird zugleich nach den Vorbildern der Sammlungs- und Ordnungskriterien und ebenso nach der Sammlungsgenese im Rahmen des europäischen und globalen Güter- und Wissenstransfers gefragt. Wie erklärt sich die außergewöhnlich stark ausgebildete, nahezu gleichberechtigte Integration von außereuropäischen Objekten in der Sammlung? Ein herausragender Schwerpunkt der Sammlung lag somit deutlich auf Naturalien und Artefakten aus der Neuen Welt, darunter Kleidung, Stoffe, Waffen, rituelle Objekte und hybride Materialvariationen. Einer kritischen Analyse müssen gleichfalls die im Katalog genannten, um 1600 nur schwer – eigentlich gar nicht mehr – zu akquirierenden Werke Dürers und Michelangelos unterzogen werden. Die größere Anzahl von Bildern der beiden Lucas Cranach lässt sich wiederum, wie zu sehen sein wird, überzeugend aus der Familiengeschichte der Hoffmanns im 16. Jahrhundert ableiten.

Wissenschaftliche Kooperationspartner (Museen / Institutionen / Projekte)

  • Kunst- und Naturalienkammer / Kustodie der Franckeschen Stiftungen zu Halle (https://www.francke-halle.de/de/projekt/wunderkammer-forschungen)
  • Zentrum für Wissenschaftsforschung der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften, Halle
  • Kunstkammer Gotha  -  Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
  • Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • DFG-Projekt Ordnung und Aura höfischer Dinge: die Dresdner Kunstkammer des 16. und 17. Jahrhunderts als Ort politischer Interaktion, dynastischer Memoria und fürstlicher Wissenspraxis (Leitung Prof. Dr. Matthias Müller Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Prof. Dr. Dirk Syndram, Dresden)
  • Forschungsprojekt zum Inventar des Schreibstübleins des Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559) zur Frühzeit der Kunst- und Wunderkammern (Leitung Prof. Dr. Lisa M. Kirch University of North Alabama)
Titelblatt von Laurentius Hoffmann, Thaumatophylakion, Halle 1625
Blick in die Naturalienkammer des Apothekers Basilius Besler, in: Ders. Fasciculus Rariorum, Nürnberg 1616/1622
Franz Julius Döteber (zugeschrieben): Heiliger Bartholomäus, Epitaph Laurentius Hoffmann, (Fragment), 1630, Alabaster, 56 x 26 x 25 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Wieland Krause